Nordöstlich von Kirdorf erhebt sich ein kleiner Ausläufer des Taunus, der Rabenstein. Dass es dort oben nicht geheuer sei, darüber wussten die alten Kirdorfer viel zu erzählen. Es ging das Gerücht um, Geister hausten auf dem Berg, die schon so mancher mit eigenen Augen gesehen haben will. Im Berg sei ein großer Goldschatz versteckt, nach dem beherzte Männer um Mitternacht schon des öfteren mit Spaten und Pickel gegraben hätten, doch alle Mühe, den Schatz zu heben, sei vergebens gewesen.
Die weiße Burgfrau vom Rabenstein
In ferner Vergangenheit soll eine Ritterburg den Rabenstein gekrönt haben. Unten im Tal schlängelte sich der Bach durch die herabgestürzten Steine und den Verwitterungsschutt, droben wachten rings um die Burgruine mächtige Eichen, die im Winde geheimnisvoll raunten.
Um die Mittagszeit, wenn der Himmel blaute und der Sonnenschein Wald und Burgruine glänzend überstrahlte, schwebte oft um die Eichen und Ruine, wie ein wallender Dunstschleier, die schöne Burgfrau im weißen Totenhemd. Es war kein Nebelschwaden, keine Augentäuschung, denn die Frau trug um die Hüften einen Gürtel mit dem Schlüsselbund der Burg. Ging jemand vorbei, dann rasselte sie vernehmlich mit den Schlüsseln. Wer das Rasseln einmal gehört hatte, der vergaß es nicht mehr, es begleitete ihn sein ganzes Leben lang, denn die Burgfrau erwartete, dass jemand sie anrufe und erlöse. Doch niemand wagte es, eine Frage an die weiße Frau zu richten.
Sie wartet bis heute auf eine mutige Person, die sie mit einer Ansprache von ihrem unruhigen Dasein erlösen werde.
Der Schlossschatz auf dem Rabenstein
Es ging die Sage um, der kostbare Schloßschatz auf dem Rabenstein bestehe aus einer Menge blanker Goldtaler, die der große Fels, der eigentliche Rabenstein, wie ein dunkles Geheimnis verberge. Damit die Taler in der feuchten Felsenkammer ihren hellen Goldglanz nicht einbüßten, breitete sie das Schlossfräulein, die Hüterin des Schatzes, von Zeit zu Zeit auf einem großen Laken in der Sonne zum Trocknen aus. Dies geschah stets zu einer Zeit, da kein Mensch vorbeizugehen pflegte. Waren die Goldtaler getrocknet, brachte sie das Schlossfräulein sogleich in ihr Felsversteck zurück.
Eines Tages lagen die Taler wieder wie flammendes Gelb im Sonnenglanz und sprühten tausendfach blitzende Fünkchen. Da kam, entlang des alten Kirchenpfades, der von Seulberg nach dem Rabenstein führte, unversehens ein Kirdorfer Bauer daher. Er schritt im Sonnenschein gemächlich dem Rabenstein zu. Hell blinkten die Taler vor seinen Augen auf, er aber dachte nicht an Gold, sondern nach Bauernart, an schönen gelben Weizen. „Schau, da trocknet einer im Sonnenlicht seinen goldenen Weizen“, sagte er zu sich, hielt den Schritt an, schaute flink umher, bückte sich dann verstohlen und steckte hastig vom vermeintlichen Weizen eine Handvoll in die Tasche. Dann setzte er seinen weg ohne Eile fort. Zu Hause angekommen war er höchst erstaunt. als er statt Weizen blanke Taler vor seiner Frau auf den Tisch legte. Schleunigste begab er sich zum Rabenstein, jedoch vom Goldschatz war nichts mehr zu sehen. Das Schlossfräulein hatte den Schatz schon im Berg versenkt.
Es ging auch das Gerücht um, dass zwei fremde Schatzgräber dem Gold auf dem Rabenstein nachgespürt hätten. Durch einen Felsspalt glaubten sie, in der Dämmerung des Berginnern etwas vom Schimmern des verborgenen Schatzes gesehen zu haben. Als sie sich dann in blindem Eifer anschickten, nach dem Schatz zu graben, barsten die Spaten, splitterten die Pickel und die Frevler kamen fast ums Leben.
Seit diesem misslungenen Versuch, den Schatz zu heben, wagte sich kein Schatzgräber mehr auf den Rabenstein.
Erläuterungen
Die Sagen haben einen wahren historischen Kern. Neben dem Rabenstein stand einst einst die Burg der Ritter Brendel von Kirdorf. Alte Kirdorfer haben in ihrer Kindheit die letzten Reste der Burgruine noch gesehen. Die Flurnamen „Burggass“, „am Burgerberg“, „Weg durch die Burggasse“, halten die Erinnerung an die Burg wach. Über die Burgherren liegen keine weiteren Informationen vor.
Die Aufbereitung verdanken wir Günter Schüler(+).